- Großmährisches Reich
-
* * *
IGroßmährisches ReichDie großen Völkerbewegungen des 4. und 5. Jahrhunderts erfassten auch die Stämme der Slawen, die ursprünglich wohl im Gebiet zwischen oberer Weichsel und mittlerem Dnjepr und Desma als bäuerliche Schichten unter der Herrschaft anderer Völker, wie der Skythen, Sarmaten und Goten, lebten. Mit dem Ansturm der aus Zentralasien stammenden Reitervölker der Hunnen und vor allem der Awaren, die 558 an den Grenzen des Byzantinischen Reiches erschienen, wurden auch die Slawen als unterworfene Hilfsvölker mitgerissen und drängten in neue Siedlungsgebiete.Während sich die östlichen Stämme nach Nordosten wandten und allmählich den osteuropäischen Raum bis zur oberen Wolga und zum Ilmensee besiedelten, zogen andere Stämme nach Westen in die von den Germanen aufgegebenen Gebiete über die Weichsel, Oder und mittlere Elbe bis nach Ostholstein und zur Saale. Wieder andere besetzten Mähren, Böhmen und den Ostalpenraum mit der Steiermark und Krain. Unter der politischen Führung der Awaren gelang es südslawischen Stämmen, die Donaugrenze zu überschreiten und bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts den gesamten Balkanraum mit Ausnahme der Küstenlandschaften zu besiedeln.Nach der fehlgeschlagenen awarisch-slawischen Belagerung von Konstantinopel erhoben sich die slawischen Stämme in Böhmen und Mähren unter Samo, einem fränkischen Kaufmann, gegen die Awarenherrschaft, wodurch ein erstes slawisches Reich entstand, das sich auch gegen die Franken (Schlacht an der Wogastisburg/Böhmen 631) behaupten konnte. Nach dem Tode Samos löste sich das Reich jedoch bald in Einzelherrschaften auf. Erst als es Karl dem Großen gelang, das Awarenreich zu zerstören (796), war der Weg frei für die Begründung des Großmährischen Reiches.Die Anfänge dieses Herrschaftsgebildes liegen im Dunkeln. Fest steht, dass es dem ersten historisch bezeugten Mährenfürsten Mojmir I. (ca. 830-46) gelungen ist, den in Nitra sitzenden Fürsten Pribina zu vertreiben und seine Machtstellung in Mähren, wenn auch unter fränkischer Tributhoheit, auszubauen. 846 wurde Mojmir auf Betreiben König Ludwigs des Deutschen abgesetzt. Es folgte ihm sein Neffe Rastislaw (846-70), dem es gelang, sein Reich bis an die obere Weichsel auszudehnen und sich zeitweise von der fränkischen Oberhoheit zu lösen. Dabei suchte Fürst Rastislaw Rückhalt beim Byzantinischen Reich, als er den byzantinischen Kaiser bat, die Christianisierung seines Reiches durch die Entsendung von Missionaren in Angriff zu nehmen, um den Einfluss der bayerischen Missionskirchen zurückzudrängen.869 wurde Rastislaw jedoch von seinem Neffen Swatopluk an Ludwig den Deutschen ausgeliefert, während Swatopluk als Fürst die Herrschaft im Mährischen Reich übernahm. Bald setzte aber auch der neue Herrscher die alte antifränkische Politik fort, musste 874 in Forchheim jedoch erneut die fränkische Oberhoheit anerkennen. Nach dem Tode Swatopluks (894) trat bald der Niedergang des Reiches ein, dessen letzter Restbestand 907 in der Schlacht von Preßburg von den Ungarn vernichtet wurde.IIGroßmährisches Reich,westslawische Staatsbildung im 9. Jahrhundert, vom byzantinischen Kaiser Konstantin VII. als »das große Mähren« bezeichnet. - Die Siege Karls des Großen über die Awaren (791-796) befreiten die Stämme der Böhmen und Mähren und schufen die Voraussetzungen für die Herausbildung eigener Stammesherrschaften sowie deren Einfügung in das christliche Europa. Mit Kern in Moravia (vermutlich Mähren; nach neuerer Forschung im ungarischen Tiefland zwischen Donau und Theiß beziehungsweise östlich davon lokalisiert) entstand um 830 ein frühfeudaler Staat; Fürst Mojmír I. (830-846) unterwarf 836 das Gebiet um Neutra. Sein Neffe und Nachfolger Rastislaw (846-870) konnte die fränkische Oberhoheit abschütteln. Um der fränkischen Mission, die von Passau aus in Mähren vordrang, ein Gegengewicht zu schaffen, wandte er sich 863 an den byzantinischen Kaiser Michael III., der im selben Jahr die Slawenapostel Kyrillos und Methodios mit der Mission in Mähren beauftragte. Da ihre Tätigkeit auch von Rom gefördert wurde, geriet das Großmährische Reich in die weltpolitischen Spannungen zwischen Rom, Byzanz und den Franken. Durch seinen Neffen Swatopluk I. (870-894) wurde Rastislaw 870 an den ostfränkischen König Ludwig den Deutschen ausgeliefert und starb in Gefangenschaft. Swatopluk, unter dem das Großmährische Reich seine Blüte erreichte, unterwarf sich 874 freiwillig dem ostfränkischen König und dehnte dafür seine Herrschaft nach Nordosten aus, wahrscheinlich bis in das Gebiet der Wislanen an der oberen Weichsel (um Krakau) und über Böhmen (890/895); 880 wurde auf Swatopluks Bitte neben Methodios der Schwabe Wiching (✝ nach 899) als Bischof von Neutra eingesetzt. Nach dem Tod Swatopluks (894) begann der Zerfall des Großmährischen Reichs; um die Wende zum 10. Jahrhundert setzten sich die Magyaren, von König Arnulf von Kärnten gegen die aufständischen Mährer zu Hilfe gerufen, in der Ebene zwischen Donau und Theiß fest. Ein erneuter Ansturm der Magyaren brachte 906 das Ende des Großmährischen Reichs (endgültige Niederlage in der Schlacht bei Preßburg, 907).K. Bosl: Das G. R. in der polit. Welt des 9. Jh. (1966);J. Dekan: Moravia Magna. Das großmähr. Reich u. seine Kunst (a. d. Tschech., Neuausg. 1983);
Universal-Lexikon. 2012.